Verband Bayerischer Rechtspfleger

Perspektivwechsel in der Rechtspflege

Tagung des BDR in Bad Boll im November 2022

21. November 2022

Nach dem freundlichen und wertschätzenden Grußwort von Herrn Staatsminister Georg Eisenreich, dem aktuellen Vorsitzenden der JuMiKo, stellte Herr Jochen Ziegler, Leiter der Abteilung Behindertenhilfe und Psychiatrie im Diakonischen Wert der evangelischen Kirche in Württemberg e.V., die Wahrung der Menschenwürde aus der Sicht der Betreuten und das damit einhergehende Spannungsfeld zwischen den Einrichtungen, den Leistungsträgern, der Einrichtung, den Angehörigen, dem Betreuer und dem Betreuten selbst dar.

Begonnen hat die diesjährige Tagung jedoch mit dem Überqueren der Landesgrenze nach Baden-Württemberg, wo sich die Evangelische Akademie Bad Boll in der malerischen Landschaft der schwäbischen Alb befindet.

Rundum bestens umsorgt und mit regionaler Bioküche verwöhnt wurden perfekte Voraussetzungen geschaffen, dass sich Kolleginnen und Kollegen aus ganz Deutschland zu ganz verschiedenen aktuellen Problemstellungen informieren und austauschen können.

Erfrischend und eloquent galoppierte Herr Rechtsanwalt Dr. Christian Strasser, seit Jahren eine feste Größe im Tagungsprogramm, durch die Irrungen und Wirrungen der Auslandsvollstreckung.

Am nächsten Morgen hatte Herr Peter Winterstein, langjähriger, inzwischen ehemaliger Vorsitzender des Betreuungsgerichtstag e.V. das Wort und stellte das ab 01. Januar 2023 geltende Vormundschafts- und Betreuungsrechts dar. Dieses bringt einen echten Perspektivenwechselmit sich, weil nun der Wunsch des Betreuten im Zentrum des Handelns der Betreuer und des Gerichts steht. Um diesen Wunsch zu ermitteln, sind diverse Gespräche zwischen dem Betroffenen und dem verfahrensleitenden Rechtspfleger vorgesehen. Nicht nur die darauf entfallende Zeit ist dabei eine Herausforderung, auch die Fähigkeit, in einer für die Betreuten verständliche Sprache zu kommunizieren, ist hierfür nötig.

Das mobile Arbeiten und seine Licht- und Schattenseiten aus Mitarbeiter- und Arbeitgebersicht stellte Herr Dr. Martin Braun vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO vor.

Herr Dr. Christian Schernitzky vom BMJ stellte unterhaltsam und praxisorientiert die ab Januar 2023 zu verwendenden Formulare für die Zwangsvollstreckung vor.

 

Anschließend ging es in die Arbeitskreise.

Problemen im Bereich der Vermögensabschöpfung stellten sich Herr Peter Savini und Frau Astrid Münning. Eine ungewohnte Perspektive der Arbeit bei den Strafverfolgungsbehörden ist die Auseinandersetzung mit dem Entschädigungsverfahren, in dem von den Jugendgerichten und Staatsanwaltschaften den Opfern das durch eine Straftat Erlangte zurückgegeben wird.

Mit Herrn Gerhard Schmidberger und Herrn Roland Traub wurden Probleme aus dem Bereich der Zwangsvollstreckung bearbeitet – unter anderem wurde eine Erstreckung des GVSchuG auch auf die Vollstreckungsgerichte gewünscht.

Wie mit dem Paradigmenwechsel im Vormundschafts -und Betreuungsgericht zum 01. Januar 2023 umzugehen ist, wurde mit Frau Ulrike Thielke und Frau Hilvi-Britt Becker fachkundig diskutiert.

Mit Frau Monika Haas und Herrn Kai Rosenberger vom BBW-Beamtenbund und Tarifunion wurde der Frage der Attraktivität des öffentlichen Dienstes als Arbeitgeber besprochen. Vielleicht erfordert das Ergebnis, nämlich dass zufriedene Mitarbeiter die beste Werbung für die dringend benötigten und von vielen Seiten umworbenen Nachwuchskräfte sind, beim Haushaltsgesetzgeber und Dienstherrn den ein oder anderen Perspektivenwechsel.

Dass die Justiz auch eine musikalische und humorvolle Seite haben kann, stellte am Abend die Amtsrichterin Anette Heiter (nomen est omen) mit ihrem Kabarett „Justiz auf Rädern, Gerichte zum Mitnehmen“ eindrucksvoll unter Beweis. Und wer im vorweihnachtlichen Trubel noch Geschenkperspektiven sucht, dem sei ihr Buch „Der Name der Robe“ empfohlen.

Wieder spannend wurde es bei der von Herrn Wolfgang Mayer-Ernst moderierten Podiumsdiskussion, die unter dem Motto „Freiheit und Menschenwürde im Zentrum der Rechtspflege stand. Neben Herrn Winterstein und Frau Thielke stellte sich auch Frau Andrea Schwin-Haumesser, Berufsbetreuerin und stellvertretende Vorsitzende des BdB dem Gespräch. Dass wir uns sowohl sprachlich als auch gedanklich umstellen müssen und auch die Anforderungen an das Rechtspflegerstudium und die Fortbildungen wachsen, war ein Fazit. Außerdem sollten wir Netzwerke gut nutzen.

 

Wer auch einmal diese und andere Perspektivwechsel und einen länder- und referatsübergreifenden Austausch in angenehmer Atmosphäre erleben möchte, kann sich schon einmal den 22. bis 24. November 2023 vormerken, wenn der BDR wieder nach Bad Boll einladen wird.

Christine Hofstetter